„Squat for life – Sex, Squats und Rock`Roll im Alter“

„Basti, kannst Du mal meinen Satz Kniebeugen spotten, bitte?“ Sebastian legt seine 32er Kettlebell ab, dankbar für die kleine Pause von seinen 30sek Intervallen Russian Swings (Hierbei wird eine Kugelhantel mit beiden Händen am Griff haltend und gestreckten Armen mittels Hüftstreckung aus dem Schoß bis auf Schulterhöhe geschwungen) und begibt sich hinter mich, um mir ggf. etwas „unter die Arme zu greifen“. Just in diesem Moment betritt mein Sohn das Gym. Mit dem Aufschrei „Opa!!“ reißt sich meine Enkeltochter von seiner Hand und stürmt auf mich los. Einen sehr kurzen Moment bin ich irritiert, denn dieses kleine blonde Mäuschen ist im Begriff mich von meinen Kniebeugen abzuhalten. Jeder der mich kennt, weiß, dass selbst wenn die Welt hinter mir zusammen fiele, ich vermutlich meine Wiederholungen beenden würde, bevor ich mich der Sache annähme. Aber dieses Schätzchen hält mein Herz in ihren kleinen Pummelfingern und deshalb gehe ich diesmal nur in die Hocke, um meine Arme zu öffnen und den süßen Sausewind zu empfangen. Sie springt mir wild um den Hals und ich muss einen kurzen Moment mein Gleichgewicht wiederfinden, bevor ich auch schon ihre zarten Lippchen auf meiner kratzigen Wange spüre. „Papa hat versprecht, dass Du Fahrstuhl spielst mit mich!?“ flüstert sie atemlos in mein Ohr, „So, hat er?“ frage ich, „na dann mal los meine Prinzessin“. Bei diesen Worten krabbelt sie mir jauchzend um den Hals, während ich mich aufrichte und in Richtung Klimmzugstange gehe. Dort angekommen stelle ich mich direkt darunter, springe mit einem kleinen Hüpfer dran und ziehe mich einige Male zur Stange hoch. Mein kleines Mädchen klammert sich aufgeregt an meinen Hals und gibt Laute der Aufregung und Entzückung von sich. Anschließend lasse ich sie an mir herunter klettern und schließlich umarmt sie kräftig mein Bein, während ich wie ein glücklicher Großvater zu ihr hinunter lächle. „Na Papa, haste die 5×150 schon geknackt?“ fragt mich mein Sohn. Ich betrachte ihn mit nicht nur einer Spur von Stolz im Blick und bin sehr glücklich über das, was ich da sehe. Mein Sohn ist bereits 39 Jahre alt, hat aber immer noch den wilden Ausdruck seiner Zwanziger in den Augen und das selbe herausfordernde Grinsen im Gesicht, wie das vor 32 Jahren, als er mir zeigen wollte, dass er viel weiter springen könnte als ich. Ich liebe den Bengel. Gerade weil er nicht so glatt geschliffen ist und seine Kanten immer mal wieder anecken hier und da. „Ich bin nah dran mein Junge,“ sage ich und grinse zurück. Er kommt auf mich zu, packt mich sanft um die Schultern, drückt mich an sich und küsst mich kurz und trocken auf die Wange. Weil ich meinen Kopf senke, kann ich sehen, wie seine Tochter, meine Enkelin, zu uns Kerlen aufschaut und ein wenig ehrfurchtsvoll dreinblickt, ob der zugleich etwas rührigen und maskulinen Begegnung der beiden tollsten Männer in ihrem Leben. „Papa, ich wollte kurz mit Dir besprechen, wie wir das nun an Deinem Geburtstag machen.“ Ich schaue meinen Sohn mit großen Augen an. Mein Geburtstag. Ja, es ist bald mein Geburtstag. Seit meiner späten Jugend verziehe ich mich zu meinem Geburtstag normalerweise. Ich fahre dann in den Urlaub oder gehe mit meinem besten Freund in den Wald zum Übernachten. Aber jetzt werde ich 65 und aus irgendeinem Grund hat meine Familie entschieden, dies wäre ein bedeutsamer Geburtstag und wir sollten ihn alle gemeinsam begehen. Also mit meinen Kindern esse ich schon seit Anbeginn an ziemlich zuverlässig an meinem Geburtstag einen Geburtstagskuchen zusammen, nur allen anderen gehe ich eben aus dem Weg. Komisch, obwohl ich sonst gern im Mittelpunkt stehe, mag ich dies an meinem Geburtstag überhaupt nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich mir die Aufmerksamkeit sonst verdienen muss und an meinem Geburtstag geschenkt bekomme. Ich hatte immer schon das Lebensgefühl, man müsse sich alles „verdienen“. Nichts ist umsonst, das Leben ist kein Ponyhof, Augen zu und durch und „Knack-Knack“ waren allzu oft die Devisen meines Lebens. Heute genieße ich diesen Tag trotzdem und nehme ihn nur einfach nicht so ernst. „Wir haben jetzt Tante Kerstin UND Opa Burt eingeladen. Wir haben es beiden mitgeteilt und gedacht, nun können sie ja selbst entscheiden, ob sie kommen möchten oder weiter Kindergarten spielen.“ Meine Kinder organisieren eine Feier für mich und wie immer gibt es irgendwelche Zwistigkeiten zwischen Familienmitgliedern. Ich hebe meine Enkeltochter in den Achseln hoch und hieve sie in einer flüssigen Rotationsbewegung sanft um meinen Kopf herum auf meine Schultern. Ich verspüre ein leichtes Drücken in der linken Schulter, als die Fliehkräfte der Kleinen an meinem Arm ziehen, aber sonst gelingt mir die Bewegung nach wie vor problemlos. Schon meinen Enkel habe ich so vor 11 Jahren bewegt und meine Kinder vor 36. Mein Enkel trainiert heutzutage auch schon seit mehr als 1,5 Jahren. Nicht so intensiv wie unser einer in dem Alter, aber neben seiner großen Leidenschaft, dem Malen, bewegt er sicherlich regelmäßig 2-3x / Woche schwere Sachen hin und her und auf und ab. Das Drücken in meiner Schulter rührt von einer alten Überlastung aus meinen Zwanzigern. Damals hatte ich über ca. 2 Jahre immer ertragbare, aber hartnäckige Schmerzen im Gelenk. So ganz ausgewachsen ist das dann nie mehr. Wohl etwas vernarbtes Gewebe. Wo gehobelt wird, da fallen usw. Du weißt schon. Na jedenfalls ist meine Enkelin ein sogenannter Nachzügler. Sie ist quasi ein „Versehen“, aber eines von denen, die einem zeigen, dass so manches Versehen schon weit mehr Freude verschuf, als viele Vorsätze. Mit meiner Enkelin auf den Schultern und meinem Sohn an der Seite trete ich aus dem Gym in die Septembersonne. In dem Augenblick, in welchem ich über die Türschwelle steigen möchte, fasst meine Enkelin mir von hinten über die Augen. In dem darauffolgenden kurzen Moment des Schreckes bleibe ich an der Türschwelle hängen und verliere das Gleichgewicht. Blitzartig bringe ich mein vorderes Bein etwas weiter vor und zu Boden und kann damit schlagartig mein Geleichgewicht wiederherstellen. Ich spüre die Kontraktionen meines Rumpfes und das gleichzeitige feste Zufassen meiner Hände um die Unterschenkel meiner Enkelin. Ich gehe beim Aufprall meines Fußes direkt in eine sanfte Rückbewegung, um das Schleudern meines kleinen Spatzes zu kompensieren und spüre, wie mir dies gelingt und ihre Rückenmuskulatur genügend Zeit hat, die Wucht der Bewegung aufzufangen. Ich bin seit 45 Jahren Coach, das Gespür für Bewegung ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, es ist wie ein siebenter Sinn. Ich sehe die Bewegungen anderer nicht nur, ich spüre sie während der Betrachtung in meinem eigenen Körper. Ich spüre auch ihre Einschränkungen. Es fühlt sich unbequem, sperrig, irgendwie starr und leblos an. Ich habe mein Leben damit verbracht, zu versuchen, den Menschen etwas von der Ästhetik vermeintlich einfacher Alltagsbewegungen zu vermitteln. Die meisten Menschen denken hierbei nur an Tanz oder Akrobatik. Für mich ist das ganze Leben ein Parkett im Zirkussaal. Das Anheben eines Bleistiftes vom Schreibtisch, die Drehung eines Kopfes oder das Halten an der Stange am Stehplatz im Bus – jede dieser Bewegungen birgt das Potential für Ästhetik. Na egal, das ist es eben so, was mich beschäftigt. Unter anderem. Ich begeistere mich außerdem sehr für Psychologie, für Teile der Medizin, für Naturheilkunde und Geschichte, ich spiele leidlich, aber begeistert Schach und interessiere mich sehr für fremde Kulturen und andere Länder. „Au man, das hätte schief gehen können.“ höre ich meinen Sohn sagen, während ich spüre, wie sich mein Herzschlag beruhigt. „Ja, war ein bisschen wie letztes Jahr, als ich während unserer Radtour auf Mallorca den Entwässerungsgraben im Tunnel übersehen hatte. Weißt Du noch, da wäre ich auch beinahe schwer gestürzt, aber ich konnte rechtzeitig gegenlenken.“ erwidere ich, währenddessen ich meine Enkeltochter sanft auf dem Boden absetze. „Alles gut gegangen Großer. Sag mal, hast Du heute schon mit Deiner Mutter gesprochen?“ „Ja, ja, sie lässt Dich grüßen und sagt, dass sie sich schon sehr auf euren heutigen Abend freut.“ Was mein Sohn weiß, ist, dass ich und Tine heute Abend ins Theater und gemeinsam Abendessen gehen, was er nicht zu wissen braucht, ist was seine Eltern anschließend noch so nettes miteinander machen. Das so etwas stattfindet kann er sich wahrscheinlich schon seit er zwölf Jahre alt war nicht mehr vorstellen, aber ja, wir tun es immer noch. Mit Anfang 30 habe ich mal in einem Buch zur Sexualpsychologie (ich hab` doch gesagt, dass ich mich für Psychologie interessiere) gelesen, dass die meisten Menschen, wenn überhaupt jemals, ihre sexuelle Reife erst jenseits der Sechzig erleben. Ich hatte da damals auch so meine Zweifel, aber für den Fall der Fälle dachte ich mir schon während jener Zeit, dass es sinnvoll wäre, auch nach meinem Sechzigsten noch körperlich in der Lage zu sein, so richtig die Puppen tanzen zu lassen und zwar ohne die blauen Pillen, denn diese hatte ich mit Mitte Zwanzig einmal ausprobiert und davon derartige Kopfschmerzen bekommen, dass ich darauf gar keinen Bock mehr habe. Was soll ich sagen? Ich war fleißig und alles funktioniert auch heute noch bestens. Bei uns beiden. Wir haben uns über den Sport gefunden und damals auf unserer Hochzeit (wir waren schon 11 Jahre zusammen, als wir schließlich beschlossen, zu heiraten.. oder waren es 12 Jahre? 13? Egal..) haben wir spaßeshalber geschworen: „… in guten, wie an trainingsfreien Tagen“. „Schön, dass ihr mich besuchen wart und danke mein Lieber Toni, dass ihr euch so bemüht um meinen Geburtstag. Und Du grüß schön die Mama vom Opa mein Mäuschen.“ beende ich den Satz mit einem Kuss auf die Stirn meiner Enkeltochter. Ich drücke meinen Sohn herzlich an mich und verabschiede auch ihn mit einem Kuss. Die beiden schreiten Hand in Hand von dannen und ich schaue ihnen noch kurz nach, bevor ich mich umdrehe und mich wieder ins Gym begebe. Es wartet noch ein Satz Kniebeugen auf mich.

Sport frei, Coach Nico

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