Foamrolling, Gummibänder und Bondage – wie gehört das zueinander?
Wer kennt sie nicht? Bis vor wenigen Jahren noch ein Exot in deutschen Fitnessstudios, ist die foamrollende Gummibändermumie spätestens seit dem pilzartigen Verbreiten der CrossFit Boxen im Muckibudenalltag nicht mehr wegzudenken. Plötzlich rollen alle wie wild auf ihren Faszien rum, drücken sich Tennis- und Lacrossbälle an die unmöglichsten Körperstellen und so manche Vorbereitung auf`s workout mit Gummibändern erinnert mich an Bondagepraktiken (das was ich dazu gehört habe😎). Neben dem, dass hier ein nicht unerheblicher Absatzmarkt für diverse Equipmenthersteller entstanden ist, die Scheißhausrohre für 4€ den Meter aus dem Baumarkt mit Gumminoppen überziehen, um das space-age Teil anschließend für 50€ über`s Internet zu verkloppen, interessiert mich dabei vor allem, ob das alles Mäusekacke ist oder tatsächlich einen positiven Nutzen hat.
Zumindest ein Nutzen steht außer Zweifel – Millionen von Fitnessambitionierte weltweit haben das Gefühl sich etwas Gutes zu tun und dies allein rechtfertigt eigentlich schon das ganze Tamtam. Ich möchte aber wissen, wie es um die wissenschaftlichen Hintergründe steht und ob ich Faszientraining, Foamrolling, Triggerpointbälle und Gummibänder meinen Mitgliedern und Kunden empfehlen sollte.
Die große Frage, die ich mir eingangs stelle und die ein jeder sich m.E. stellen sollte, der solcherlei Gerät gebrauchen möchte, lautet: Was genau will ich eigentlich mit all dem bezwecken?
Ich habe mal ein wenig recherchiert und erfahren, dass unterschiedliche Dinge bewirkt werden sollen:
- Beweglichkeits- / Mobilitätsverbesserung
- Optimale Erwärmung und Vorbereitung auf`s Training
- Regeneration
- Verletzungsprophylaxe
Der Reihe nach…
zu 1.)
Beweglichkeits- / Mobilitätsverbesserung
Hierzu habe ich vor einigen Jahren mal zwei recht umfangreiche Seminare besucht. Gray Cook – seines Zeichens Physical Therapist mit hohem Bekanntheitsgrad und beeindruckender Reputation – bildete mich, aus im sogenannten „Selective Functional Movement Assessment“ (SFMA) Level 1&2. Ich lernte hierbei u.a. dies: Beweglichkeit und Mobilität stehen zwar in engem Zusammenhang, sind aber nicht ein und dasselbe. Grob gesagt ist die Mobilität das funktionale Zusammenspiel von Muskelgruppen, Gelenken und allen dazu gehörenden Strukturen in komplexen Bewegungsabläufen, während Beweglichkeit eher die mögliche Bewegungsamplitude in einem einzigen Gelenk beschreibt. Ich habe weiterhin gelernt, dass es am Ende des Tages darauf ankommt, dass wir bestimmte (von Cook im Rahmen des Assessments klar definierte) komplexe Bewegungen möglichst „störungsfrei“, d.h. ohne funktionale Dysbalancen und vor allem auch ohne Schmerzen ausführen können sollten. Es wird hier unterschieden zwischen drei möglichen Ursachen für funktionale Dysbalancen, ergo eingeschränkte Mobilität:
- „Tissue Extensibility Dysfunction“ (TED) – Gewebe (Muskeln und Faszien) sind „steif“, „fest“, unelastisch, was auch immer und verhindern somit die vollamplitutische Bewegung eines oder mehrerer Gelenke.
- „Joint Mobility Dysfunction“ (JMD) – die knöcherne Struktur des Gelenks selbst ist eingeschränkt, weil z.B. verwachsen oder blockiert.
- „Selective Motor Control Dysfunction“ (SMCD) – es fehlt schlicht an den koordinativen Fertigkeiten, eine bestimmte Bewegung auszuführen.
Das Anamneseverfahren im SFMA ist extrem aufwendig und m.E. letztlich auch recht subjektiv. Zwei Therapeuten können durchaus zwei unterschiedliche Ergebnisse ermitteln und entsprechend unterschiedliche Therapien verordnen. Da ich und mein damaliger Begleiter die beiden einzigen Kraft- und Konditionstrainer neben sonst ausschließlich Ärzten und Therapeuten im Seminar waren, schäme ich mich nicht zuzugeben, dass mich das alles ein wenig überfordert hat und wie aus eigentlich jedem guten Seminar in meinem Leben, habe ich die Dinge behalten, die für mich alltagstauglich waren und sind. Ich habe schnell begriffen, dass vor allem die dritte Ursache für funktionale Dysbalancen die mit Abstand am häufigsten anzutreffende ist. Selbst wenn eine der beiden anderen Ursachen zutreffen sollte (zum TED komme ich später, das JMD ist Sache eines Therapeuten, der ich ja nicht bin), so mündet deren Beseitigung unweigerlich im SMCD, denn die betreffende Person hat ja die entsprechende Bewegung bislang nicht ordentlich ausführen können und muss sie daher nun erlernen.
Kurz: Ich habe über die Jahre so meine Techniken und Coaching Cues entwickelt, um annähernd jedem die wesentlichen Übungen des Krafttrainings vermitteln zu können. Wir sprechen hier von neuromuskulären Prozessen und intra- und intermuskulärer Koordination, die es zu erlernen gilt. Schlußendlich ist das alles keine große Wissenschaft, sondern eine Sache des (von mir so genannten) „biomechanischen“ Blicks und von Erfahrung.
Das Thema Dehnen soll an dieser Stelle nur sehr kurz behandelt werden. Die wissenschaftliche Sachlage ist hier recht undurchsichtig, ich bekenne mich offen als Skeptiker. Laut einer Studie von Dr. Martin Hillebrecht von der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (Zitat) „(ist) Die Bewegungsreichweite (…) nach Dehnen vergrößert, weil der Schmerz der Dehnung schwächer wahrgenommen wird. In der Muskel-Sehneneinheit findet sich keine Verlängerung! Die Muskellänge ist sehr stark vom alltäglich genutzten Bewegungsradius abhängig und passt sich an diesen an.“ (Zitat Ende). Ich entnehme diesem Ergebnis im Umkehrschluss, dass, in den allermeisten Fällen, diese, zumeist durch Untätigkeit verloren gegangene Beweglichkeit, durch die Wiederaufnahme funktionaler Bewegungen sukzessive wiedererlangt werden kann. Häufig gelingt dies allein schon durch die regelmäßige vollamplitutische Ausführung komplexer Kraftübungen (jeder natürlich zunächst nach seinen individuellen Möglichkeiten), besonders harten Fällen empfehle ich außerdem den einen oder anderen Yogakurs zu besuchen (wohlgemerkt unter Aufsicht eines fähigen Yogalehrers, der vom stocksteifen Helmut nun nicht unbedingt gleich den Lotussitz verlangt..).
zu 2.)
Optimale Erwärmung und Vorbereitung auf`s Training
Ich gestehe: Ich bin was das angeht stinkend faul. Manchmal unterlasse ich sogar die allgemeine Erwärmung und fummel mich vorm liften nur ein bisschen an der Hantel „warm“. Das ist nicht nur faul, sondern auch dumm und sicher schon einige Male bestraft worden. Ging mit Anfang 20 noch lockeres Armkreisen vorm obligatorischen Bankdrücken als Warm Up durch, so merke ich jetzt mit fast Mitte 30 doch sehr deutlich, dass es etwas mehr sein sollte. Eine Zeitlang habe ich sogar regelmäßig den Foamroller benutzt.. und mich damit sehr wohl gefühlt. Was dieses Teil ja gerüchteweise tut, ist die Durchblutung anregen, was ja nun wirklich nix Schlechtes ist. Zudem werden wohl Botenstoffe ausgesendet – Stickoxid (der ebenfalls durchblutungsfördernd wirkt) und das Enzym MMP1. Und hier wird es jetzt interessant: Dieses Enzym regt 4-8 Stunden nach dem Foamrolling in den „gerollten“ Zellen, in denen es ausgeschüttet wurde, den Abbau alten, überflüssigen und spröden kollagenen Gewebes an. Soweit die Theorie, denn nachgewiesen werden konnte dies am lebenden Menschen bislang nicht. Wenn es denn allerdings so sein könnte und die Rollerei weiter nicht schadet, dann ist es ja den Versuch wert. Finde ich. Allerdings – das Rollen muss hierzu in slow-motion erfolgen und sollte nach dem Training oder besser noch an trainingsfreien Tagen geschehen. Die durchblutungsfördernde Wirkung hingegen erzielt man durch relativ schnelles, rabiates Rollen und dieses eignet sich entsprechend zur Vorbereitung auf das Training.
Was das Dehnen angeht.. Ebenfalls in der Studie Dr. Hillebrecht`s wird die Auswirkung statischen Dehnens auf die Sprintleistung niedersächsischer D-Kader Sprinterinnen untersucht. Ergebnis: Die Sprintzeiten sind massiv verschlechtert. Die Vermutung lautet, dass statisches Dehnen eine dem Krafttraining vergleichbare Beanspruchung der Muskulatur nahe kommt, weshalb hier ggf. eine entsprechende Vorermüdung stattfindet. Also ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, aber wenn ich Squate, dann brauche ich den Dampf im Kessel und deshalb dehne ich – zumindest statisch – nicht. Etwas anderes ist die Mobilisation mittels flüssiger, umfangreicher Bewegungen. Ich persönlich absolviere hier gern so eine Art Bewegungssequenz mit Yoga-Elementen.
zu 3.)
Regeneration
Zum Thema Regeneration ist im vorherigen Absatz schon einiges gesagt. Das Foamrollen kommt einer Art Lymphdrainage recht nahe und kann deshalb wohl tatsächlich die Erholung der Muskulatur fördern. Nicht umsonst geniessen viele Leistungssportler (insbesondere auch in Kraft- und Schnellkraftsportarten) regelmäßige Massagen. Das Foamrollen und auch die Behandlung von Triggerpunkten mittels Lacross Ball ist also letztlich die „Massage des kleinen Mannes“, wenn man so will😉 Ich persönlich bin ja, wie gesagt, hierfür zu faul (bzw. fange immer erst an, wenn es zu spät und das Wehwehchen bereits da ist) und gönne mir deshalb zumindest alle 2 Wochen eine Massage durch den Physiotherapeuten meines Vertrauens. Hierbei behandle ich gleichzeitig das oben genannte potentielle TED. Wenn also Gewebe verhärtet (z.B. wegen einer Überbeanspruchung), dann wird dieses regelmäßig weich geknetet und somit fördere ich auch hier meine Beweglichkeit und Mobilität. Ich kann nur jedem einigermaßen ambitionierten Sportler selbiges ans Herz legen. Außerdem schwöre ich auf Sauna, aber das nur so am Rande.
Dehnen nach dem Training halte ich für sinnfrei oder sogar konterproduktiv, denn das „Auseinanderziehen“ eines Muskels stellt ohne Frage einen weiteren Belastungsreiz dar (der je nach Intensität erheblich sein kann) und wird die Regeneration eher noch verzögern. Ich war irgendwann mal so schlau, mich trotzdem nach einem intensiven Training noch ganz vorbildlich nach alter Schule ebenso intensiv zu stretchen, mit dem Ergebnis einer heftigen Zerrung im Oberschenkel, an der ich dann mehrere Wochen Freude hatte.
zu 4.)
Verletzungsprophylaxe
Verletzungen haben immer 3 mögliche Ursachen:
- Akute Verletzungen – Nun, wenn Dein Vordermann Dir die Hantel auf den Fuß fallen lässt, dann nützt auch die beste Mobility nichts mehr;-)
- Überlastung
- Kompensation (was dann ebenfalls auf Überlastung hinaus läuft, denn eine Struktur kompensiert hier die „Schwäche“ einer anderen und wird entsprechend überbelastet)
Im Sinne der 3. Möglichkeit macht es absolut Sinn, sich darum zu kümmern, über eine ausreichende Mobilität zu verfügen. Wenn beispielsweise nicht einmal in Rückenlage die gestreckten Arme über Kopf zum Boden geführt werden können, ohne dass die Lendenwirbelsäule sich aufwölbt wie unter Stromschlägen, ja dann ist es vielleicht keine besonders gute Idee, die im workout geforderten 50 Handstand Pushups tatsächlich mit Schwung und Hauruck auszuführen..
Auch eine ausreichende Regeneration trägt sicherlich zum langfristigen Erhalt der Gesundheit und Funktionsfähigkeit bei.
Was die Stretching-Enthusiasten angeht, muss ich leider wieder enttäuschen – laut einer Studie mit 1200 Rekruten der US-Army (Herbert, R.D. und Gabriel, M: „Effects of stretching before and after exercising on muscle soreness and risk of injury: systematic review. Brit. Med. J., 325, 468 – 473 (2002)) (Zitat) „(Müsste) Das durchschnittliche Subjekt (…) 23 Jahre Stretching betreiben, um einer Verletzung vorzubeugen“ (Zitat Ende). Also auch hier: Ente.
Abschließend lässt sich sagen, dass man wie immer keine Pauschalaussagen treffen sollte zum Thema Foamrolling und Co. Ich habe viele Jahre ohne all das Zeugs trainiert, allerdings hat die Menschheit es ja auch lange ohne Organtransplantationen ausgehalten und es ist trotzdem schön, dass es diese Möglichkeiten heute gibt. Insofern schlage ich vor, dass Du Dir klar machst, weshalb, wozu und warum Du die „Toys“ benutzt und dann ab dafür! Nur Dehnen – das kannste quasi sein lassen, außer easypeasy und den „Chill-Effekt“ geniessend🙏🏿
Sport frei,
Coach Nico